Ausstellung in Maulbronn „Lichtspiele – Schattentheater“

11. Juli 2017

Die Ausstellung „Lichtspiel und Schattentheater“ in Maulbronn (Mai 2017) ist längst vorüber. Wer sie nicht sehen konnte, kann sich bei blurb einen kleinen Überblick verschaffen oder auch eBook und gedruckten Katalog erwerben.

Hier geht es zur Vorschau des gedruckten Buches und zum eBook:
http://www.blurb.de/b/8010983-lichtspiele-schattentheater

Hier der Einführungstext zur Ausstellung von Dr. Helmut Orpel
Kunsthistoriker aus Mannheim

„Lichtspiele und Schattentheater“, Maulbronn, Venedig und Istanbul, lautet der Titel dieser Ausstellung mit fotografischen Arbeiten von Wilfried Gebhard, die mit Recht ´Retrospektive´ genannt werden kann. Der lange zeitliche Bogen, der hier mit etwa 90 Einzelwerken aus verschiedenen Perioden und von ganz unterschiedlichen Orten gespannt wird, gleicht nämlich tatsächlich einem ´Rückblick´ und gibt uns einen tieferen Einblick in den Kontext des fotografischen Werks von Wilfried Gebhard, das sich über mehrere Jahrzehnte hinweg kontinuierlich und parallel zu seinem anderen künstlerischen Betätigungsfeld, nämlich dem Zeichnen von Cartoons und der Illustration von Büchern für diverse bekannte Verlage quer durch die Republik, entwickelt hat.

Beim ersten Rundgang durch diese eindrucksvolle Präsentation fallen vor allem die Reisebilder auf, die an verschiedenen interessanten Orten in weiter Ferne, aber auch in der unmittelbaren Nähe, nämlich hier in Maulbronn, wo Wilfried Gebhard heute seinen Lebensmittelpunkt hat, und Stuttgart, wo er an der grafischen Fachschule und später an der Akademie für Bildende Künstle studiert hat, entstanden sind.

„Ortswechsel inspirieren mich, sagte Gebhard im Vorgespräch zu dieser Ausstellung. Aber es ist nicht allein die Ferne dabei, es ist der Bruch mit dem Gewohnten, dem Alltäglichen.“

Solche Brüche, wie sie vor allem auf Reisen stattfinden, waren von je her eine besondere Herausforderung für den Fotografen, transportierten sie doch nicht nur den dokumentarischen Aspekt des Fremden, sondern auch die besondere Stimmung des Ortes, dessen fotografische Bestandsaufnahme die Tönung vieler Stimmungen, von romantisch bis phantastisch, von Geborgenheit vermittelnd bis Gefahr andeutend enthalten kann.

Die Fotografien, die auf einer sechsmonatigen Reise durch die Türkei entstanden sind, und die in einem opulenten Buch reproduziert wurden, können hier als Schlüsselbilder angesehen werden. Vor allem Istanbul. Gebhard hat diese Megametropole am Bosporus ein zweites Mal 2015 besucht. Der Vergleich bietet sich an und zeigt Entwicklungen auf, aber auch Kontinuitäten in der Auffassung und der Bedeutung, die Fotografie für ihn hat.

Die Kunst besteht darin, sich diesen fremden Blick, der bei sensiblem Menschen in der Fremde aufkommt, auch für die eigene Umgebung zu bewahren und so in unmittelbarer Nähe das Ferne zu entdecken und den Reiz, der in ihm steckt, fotografisch herausholen.
Insofern zeigt sich hier schon eine besondere Qualität, die den Fotografien Gebhards eigen ist und die sie für Ausstellungsbesucher interessant macht, nämlich der Bruch mit der gewohnten Sehweise, in dem er ein Auge für besondere Lichtstimmungen hat und auch für ungewöhnliche Perspektiven, die Sehgewohnheiten verändern.

Es ist dieser besondere Blick, der in Gebhards Fotografien wirkt, der vielleicht auch durch die Perspektive des Cartoonzeichners geschult ist, der wie der Fotograf auf die Pointe aus ist, das sogenannte „Punktum“, das mit dem „Studium“, dem systematischen Erarbeiten des Bildes zusammenwirkt, wie es der französische Philosoph Roland Barthes einmal in einem Essay über die Fotografie formuliert hat.

Genau an dieser Stelle beginnt der Gegensatz zwischen den herkömmlichen Reisebildern, bei denen der reine Wiedererkennungswert im Vordergrund steht, und der künstlerischen Fotografie, die selbst an bekannten Orten auf Klischees verzichten kann, ja sogar muss, um uns den „Genius Loci“, den besonderen Charakter des jeweiligen Ortes, unverbraucht erleben zu lassen.

Der künstlerischen Fotografie, und die Arbeiten von Wilfried Gebhard sind hierfür beispielhaft, geht es vor allem um die Stimmung jenseits der ausgetretenen Pfade. Diese Intention zeigt sich hier in der Ausstellung in den Fotografien von den Hinterhöfen der alten Stadtteile Istanbuls oder an den kleinen venezianischen Kanälen, weit weg vom Sankt Markusplatz.

Das Alltägliche, das abseits der Weltgeschichte seinen unaufhaltsamen Gang nimmt und schon zu Zeiten Sultan Suleymans oder des Dogen, Enrico Dandolo, so oder ähnlich stattgefunden hat.
Die Requisiten sind dabei fast gleich geblieben, bisweilen auch die Werkzeuge, mit denen die Handwerker ihre tägliche Arbeit verrichten, nur die äußere Form widerspiegelt das moderne Jahrhundert. Und so treten wie selbstverständlich zu den alten Zangen, Hämmern und Scheren, deren Formen schon zu Zeiten Alexanders des Großen so waren, heute Satellitenantennen und Fertigpizzaschachteln.

Indem Gebhard den Blick von uns Betrachtern gerade auf diese Spuren des täglichen Lebens lenkt, führt er uns hinter die Kulissen jener Mittelmeermetropolen Venedig und Byzanz, mit deren Untergang das Mittelalter endete. Jene Städte verloren ihre Bedeutung als Zentren der Welt an Madrid, Paris oder London, aber das Leben darin ging weiter, scheinbar ungerührt von der Geschichte, bis heute. In diesen Imaginationen mag eine tiefe Philosophie stecken, eine Erkenntnis, dass die Großen dieser Welt sich abwechseln wie auf einer Theaterbühne, das Leben in den Gassen aber ungerührt davon seinen Lauf nimmt.

Es ist dieser Blick, der solche Fotografien möglich macht, das kleine, vergängliche, aber doch mit jedem Frühling neu wiederkehrende Leben, für dessen Darstellung Gebhard eine fotografische Form gefunden hat, die beeindruckt. Gerade in der Gegenüberstellung der erwähnten Fotografien von Istanbul, auf die ich hier noch einmal zurückkommen möchte, macht dies deutlich.

Ob Sultan Suleyman oder Erdogan, die Schuhe müssen repariert, die zerbrochene Fensterscheibe ersetzt werden. Dabei wächst rund herum die Stadt zu einer Megametropale heran, wie man gerade hier im Vergleich zwischen den Fotografien beeindruckt feststellen kann.

Fotografien wie diese entstehen nicht spontan, obwohl sie durch die Spontaneität des Augenblicks erst möglich werden, „Lichtspiele und Schattentheater“, um noch einmal auf den gut gewählten Titel der Ausstellung zurückzukommen, widerspiegelt die Dynamik eines wechselhaften Eindrucks, der wiederkehrt und doch jedes Mal einmalig ist.

Das Besondere bei den Fotografien Gebhards ist auf der einen Seite das Feingefühl für den entscheidenden Augenblick, in dem der Auslöser betätigt wird, aber auch für das räumliche Gefüge, in der dieses spontane Ereignis stattfindet, also für die besondere Architektur, wie hier in Maulbronn für das gotische Maßwerk, die Gewölbe und Tabernakel, welche dieses meisterhafte Bauwerk auszeichnen und für die Geometrie.
„Dabei kommt es mir allerdings nicht auf die Wiedergabe der Architektur an“, so Gebhard in dem erwähnten Gespräch, „sondern um das Gefühl, das man hat, wenn man einen solchen Raum betritt“.

Die Dynamisierung der Bildinhalte durch die Lichtwirkung, die Reflexe, Spiegelungen und durch die mehr oder weniger deutlich festgehaltenen Silhouetten, die durch die Bilder huschen, hat von daher auch eine unmittelbare Wechselbeziehung zu der Perspektive des Fotografen, der sich dieser Dynamik anpassen muss. Gebhard sucht sich tatsächlich Momente höchster Spannung aus, die im Wechselspiel zwischen Licht und Schatten entstehen. Diese Momente kämen allerdings gar nicht so intensiv zum Ausdruck, gebe es nicht dieses intensive räumliche Gegengewicht.

Bei Gebhard können Sie das sehr gut beobachten. Das beginnt schon bei seiner Entscheidung für Schwarz-Weiß. Indem sich Gebhard in den allermeisten Fotografien für das klassische Schwarz-Weiß entschieden hat, trägt er der graphischen Präferenz Rechnung. Des Weiteren die Wechselwirkung zwischen den Details und dem Ganzen in seinen Fotografien, die Einzelelementen im Raum und ihre Lage, die sich aus der Perspektive heraus ergibt.

Mit Geduld wird gewartet, bis alles zusammenpasst.
Manchmal geht das aber auch ganz spontan, ein andermal aber sucht er und wartet, bis das Licht flach kommt, oder dass durch die im Wind rauschenden Blätter die Schatten auf eine bestimmte Art und Weise über die alten Gemäuer rieseln.

Auf jeden Fall geht es Wilfried Gebhard um die emotionale Wirkung auf den Betrachter und um dessen Einbeziehung. Die Spannung in seinen Fotografien wird spürbar, die Spannung, die der Fotograf empfunden haben mag, als all diese unterschiedlichen Faktoren, von denen ich eben gesprochen habe, so zusammenstimmten, dass der Moment gekommen war, auf den Auslöser zu drücken

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